Politik

Corona-Demo - VGH erlaubt stationäre Versammlung mit 6000 Teilnehmern

Kundgebung auf der Schwanenwiese


"Freie Bürger Kassel" rufen zur Demo auf (Quelle: heldmann.photography)
Demoaufruf
(Quelle: Screenshot Telegram)
GDN - Seit Wochen ruft eine bisher unbekannte Gruppe, die sich “Freie Bürger Kassel“ nennt, zu einer Großdemonstration in die nordhessische Großstadt auf. Am Montagabend hat die Stadt Kassel in informiert, dass sie “geplante Versammlungen und Aufzüge am 20. März“ untersagt.
Markus Haintz (hier in Frankfurt)
Quelle: heldmann.photography
Der Aufruf zur Großdemonstration unter dem Slogan “Frühlingserwachen - Die Welt steht auf“ kursiert seit einigen Wochen vor allem über diverse Telegramkanäle, aber auch über soziale Medien und im Internet. Sie soll sich in erster Linie gegen die politischen Coronamaßnahmen richten. Neben den lokalen Veranstaltern haben zahlreiche Prominente der Szene zur Teilnahme aufgerufen, wie Dr. Wolfgang Wodarg, Beate Bahner, Anselm Lenz, Markus Haintz oder Olaf Kastner, die auch als Redner der Auftaktkundgebung in Kassel avisiert waren.
Weltweite Demoaufrufe für den 20. März
Quelle: Screenshot Telegram
. Die Kasseler Veranstaltung soll eingebettet sein in eine Reihe von “World-Wide Demonstration for Freedom, Peace, and Democracy“, wie es in einer Presseinformation heißt. In rund 100 Ländern sollen an diesem Tag ähnliche Demonstrationen stattfinden und zum Teil live vernetzt werden. Kassel steht neben Städten wie Athen, Warschau, London, Madrid, New York City, Toronto oder Melbourne.
Ordner bei Querdenken561
Quelle: heldmann.photography
In Kassel gab es, wie nahezu überall in Deutschland, seit dem Frühjahr 2020 regelmäßig Protestveranstaltungen gegen die aktuellen Coronamaßnahmen und für “die Wiederherstellung der Grundrechte“. Mal waren es Kundgebungen auf dem zentralen Königsplatz, dann Yoga-Treffen auf dem Friedrichsplatz oder als “Spaziergänge“ bezeichnete Kleindemonstrationen durch die Stadt. Was alle Veranstaltungen kennzeichnete, sie waren, anders als manchen anderen Städten in Deutschland, nicht von der rechten Szene bestimmt. Auch in Kassel waren zwar gelegentlich die Reichsfarben zu sehen (nicht als Fahne, sondern eher unauffällig auf der Jacke), es waren vereinzelt AfD-Politiker unter den Teilnehmern und Teilnehmer bekannten sich mit ihrer Kleidung zu den Verschwörungstheorien von QAnon oder Heiko Schrang.
Kundgebungsteilnehmer bei Querdenken561
Quelle: heldmann.photography
Alles in allem jedoch waren die Veranstaltungen ruhig, nicht rechtsextremistisch konnotiert und die Polizei begleitete sie in großer Gelassenheit. Nach einer Kinderdemonstration, als “Laternenmarsch“ angekündigt, im November wurde es dann sehr ruhig. Auch die Informationskanäle von “Querdenken 561“ verstummten. Nur Jana “aus Kassel“ M., die in Kassel selbst bei verschiedenen Veranstaltungen nur am Rande auftauchte, sorgte mit ihrem Auftritt in Hannover für Schlagzeilen.
Werbung für die Demo am 20. März
Quelle: heldmann.photography
Sie stellt nun auch ein Bindeglied zu den “Freien Bürgern Kassel“ dar. Denn der mit ihr befreundete Philipp K. gehört offenbar zu den Initiatoren. Nicht nur, dass er als Organisator der in den letzten Wochen regelmäßig freitags veranstalteten Autocorsos auftrat, sondern er lief bei der bisher einzigen Demonstration dieser Gruppe hinter dem Leittransparent. Sonst ist wenig über diese bis zu dem Demonstrationsaufruf im Januar nicht in Erscheinung getretene Gruppe bekannt. Claudi H., eine Hundetrainerin aus dem Schwalm-Eder-Kreis, ist eine der wenigen, die namentlich in Erscheinung tritt. Sie steht unter den wiederholten Spendenaufrufen für die Demonstration als verantwortliche Kontoinhaberin.
Die Veranstalter der Großdemo?
Quelle: Screenshot https://www.kinder-und-corona-kongress
Vor einigen Tagen haben sich dann jedoch drei Personen als Verantwortliche interviewen lassen und sind mit (Vor-)Name und Bild in die Öffentlichkeit getreten. In einem durchaus sympathisch wirkenden Auftritt haben Sunny, Ilhan und Jan ihre Motive (“Zukunft unserer Kinder“) dargelegt, eine solche für Kasseler Verhältnisse enorm große Veranstaltung zu organisieren. In dem Interview nannten sie 17.500 Teilnehmer als Zielgröße. Das wären mehr als bei einer Großdemonstration in der Stadt am 20. Juli 2019 anlässlich der Ermordung des Kassler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke.
Etwa 15.000 Menschen demonstrieren im Juli 2019
Quelle: heldmann.photography
Damals waren der öffentliche Nahverkehr und der Individualverkehr in der nordhessischen Metropole über viele Stunden lahmgelegt. Aufgerufen hatten damals erfahrene Organisationen wie Gewerkschaften, Parteien und Kirchen. Sie hatten die Unterstützung einiger potenter Sponsoren. Dass sich nun drei mit Großveranstaltungen unerfahrene Einzelpersonen, auch wenn Sunny sich als “tätig in der Eventbranche“ vorstellte, sich einer solchen Herausforderung annehmen, überrascht schon.
Mini-Demo der "Freien Bürger Kassel"
Quelle: heldmann.photography
Zu vermuten ist daher, dass die Drei ihre Namen und Gesichter dafür hergeben, aber es, auch finanziell potente, Unterstützer im Hintergrund gibt. Denn allein mit ein paar Spenden lassen sich Bühne, Tonanlage, Videoscreen, technische Infrastruktur für die weltweite Vernetzung, Backstagebereich mit Catering, Sanitäranlagen (zurecht fragen viele derjenigen, die ihr Kommen angekündigt haben, nach Toiletten - und bekommen bisher keine andere Antwort darauf, als Windeln anzuziehen) kaum organisieren und finanzieren. Die bisher einzige bekannte Demonstration vor zwei Wochen mit nicht mehr als 35 Teilnehmern war jedenfalls kein Maßstab für einen solchen Großevent.
Angekündigte Demonstrationsstrecke
Quelle: Screenshot Telegram
Die auch schon gehörte Spekulation, in Wirklichkeit sei das alles ein Fake, weil ohnehin mit einem Verbot gerechnet worden sei, und man würde die Sache am Samstag einfach laufen lassen, lässt sich nicht verifizieren. Was jedoch dafür spricht ist die Tatsache, dass bis heute zwar eine angebliche Demonstrationsstrecke rund um die Innenstadt veröffentlicht wurde, aber kein Ort für die Auftaktkundgebung. Es war immer vom Königsplatz die Rede, der jedoch selbst ohne Abstandsregelungen und ohne den Platz für eine Bühne nicht mehr als etwa 7000 Menschen fasst. Am Startpunkt der Demonstrationsroute an der Orangerie kann mit Sicherheit keine Kundgebung stattfinden. Auch ohne Verbot würde mit Sicherhit weder die MHK die Karlswiese noch die Stadt Kassel die Hessenkampfbahn zur Verfügung stellen, und andere Großflächen gibt es dort nicht.
Gegendemonstration bei "Querdenken561"
Quelle: heldmann.photography
Dass eine solche Veranstaltung in Kassel nicht nur auf Zustimmung stößt, war zu erwarten. Das lokale “Bündnis gegen Rechts“, das bereits maßgeblich an der Großdemonstration am 20. Juli 2019 beteiligt war, hat Gegenveranstaltungen geplant und angemeldet. Allerdings stand für das Bündnis von vornherein fest, dass dies “aus Gründen des Infektionsschutzes“ keine Großveranstaltungen sein sollten. Angemeldet wurden daher einige kleinere Veranstaltungen in der Innenstadt und an der inzwischen bekanntgemachten, vorgesehenen Demonstrationsroute der Großdemonstration.
Infektionsrisiko bei Maskengegnern befürchtet
Quelle: heldmann.photography
Doch seit Montagabend stellt sich die Situation neu dar. In einer zwei Sätze umfassenden Pressemitteilung hat die Stadt Kassel erklärt: “Der Stadt Kassel liegen Anmeldungen für Versammlungen am Samstag, 20. März, vor. Aufgrund des mit dem Zusammentreffen vieler Menschen einhergehenden gesteigerten Infektionsrisikos mit dem Corona-Erreger hat die Stadt Kassel die geplanten Versammlungen und Aufzüge untersagt.“ Auf Nachfrage von GDN erklärte der Sprecher der Stadt, darüber hinaus keine Auskünfte erteilen zu können. Zu vermuten ist jedoch, dass die Formulierung “die geplanten Versammlungen und Aufzüge“ tatsächlich alle für diesen Tag angemeldeten Veranstaltungen umfasst, also auch die Gegendemonstrationen und -kundgebungen.
Aufruf von Fridays for Future
Quelle: Screenshot Facebook
Offensichtlich nicht verboten sind hingegen, zumindest bisher, zwei andere Großveranstaltungen, zu denen für den Tag zuvor aufgerufen wird. Zum einen hat “Fridays for Future Kassel“ zum “Klimastreik“ und einer Fahrraddemonstration aufgerufen. Diese Gruppe hatte in Kassel schon bis zu 5000 Menschen mobilisieren können. Und ebenfalls für Freitagabend gibt es einen Aufruf zu einem Autocorso, dieses Mal aber nicht von den “Freien Bürgern Kassel“, sondern von “Querdenken211“ (Düsseldorf).
Autocorso in Kassel
Quelle: heldmann.photography
Interessanter als der Freitag ist jedoch, was am Samstag passieren wird. Die Kasseler Organisatoren selbst haben sich bis zum Erscheinen dieses Textes nicht zu dem Verbot ihrer Veranstaltung geäußert, andere aber schon. So schreibt Anselm Lenz in einem “Rundbrief“. “Gegen den verfassungs- und rechtswidrigen Verbotsversuch werden mehrere Stellen rechtlich bis hin zu internationalen Gerichten vorgehen. Bis zu diesen Entscheidungen ist die Demonstration selbstverständlich auch formaljuristisch nicht abgesagt. Wir halten “¦ fest, dass Demonstrationen als das verbiefte Konstitutionsmoment jeder Demokratie grundsätzlich nicht verboten werden können “” und die Demonstration selbstverständlich stattfinden wird. Wir weisen auch darauf hin, dass das nach Artikel 20 Absatz 4 verbriefte Recht aller Staatsbürger auf Widerstand gegen Abschaffungsversuche grundgesetzlicher Verhältnisse vollständig gültig und notwendigerweise in Kraft getreten ist “” und wir dieses wahrnehmen.“ (Rechtschreibung wie im Original)
Demonstrantin in Kassel
Quelle: heldmann.photography
Auch Wolfgang Wodarg hat sich zu dem Verbot geäußert: “Solange die großen Einkaufszentren und Handelsketten mit sehr viel Publikumsverkehr geöffnet haben, kann es mit dem Infektionsgeschehen nicht so weit her sein. “¦ Wer die Freiheit zurück will, geht jetzt erst recht nach Kassel. In einer Demokratie ist das Volk der Souverän. Erinnern wir die Antidemokraten in der Stadtverwaltung eindringlich daran und fordern wir die sofortige Amtsenthebung dieser Corona-Faschisten inkl. Rückzahlung der durch sie Geschädigten mit den Privatvermögen der Entscheidungsträger, Bürgermeister, Stadt- und Landräte! Wir lassen uns nicht verbieten!“
Polizeieinsatz bei Demo in Frankfurt
Quelle: heldmann.photography
Er trifft damit den vorherrschenden Ton im Chatkanal zur Großdemonstration. Zwar sind einige, die sich dort äußern, ob des Verbots verunsichert, reden auch bereits von einer Absage und veröffentlichen Fotos, die das nahelegen. Auch wird berichtet, Kasseler Hotel würden bestätigte Übernachtungen wieder stornieren. Aber das Gros derjenigen, die sich seit Montagabend zu Wort melden, vertritt eine “Jetzt erst recht“-Haltung. Unabhängig davon, ob die angekündigten Rechtsmittel Erfolg haben werden, muss wohl damit gerechnet werden, dass immer noch eine erhebliche Zahl von Demonstranten am Samstag in Kassel versuchen wird, sich dort zu versammeln und ihre Kritik an den Coronamaßnahmen auf die Straße zu tragen.
Polizei löst Kundgebung in Frankfurt auf
Quelle: heldmann.photography
Zwar ist nicht damit zu rechnen, dass der rechtsextreme Teil dieser Szene in größeren Umfang nach Kassel kommen wird, auch wenn lokale Ableger wie Pegida Kassel zu einer Teilnahme aufgerufen haben. Denn parallel haben Reichsbürger und Rechtsextreme zu einer Veranstaltung in Berlin mobilisiert. Aber falls das Verbot Bestand haben wird, wird es wahrscheinlich trotzdem am Samstag nicht sehr gemütlich werden, wenn zu erwartende massive Polizeikräfte das Versammlungsverbot gegen einige Hunderte oder Tausende frustrierte Demonstranten durchsetzen müssen.
Nachtrag vom 17.3.2021
Nachdem von den vorgeblichen Veranstaltern der Demonstration “Frühlingserwachen“ seit mehreren Tagen keine Stellungnahme mehr zu bekommen war, auch nicht zum Verbot durch die Stadt, haben sie sich nun in einem Interview geäußert. “Wir hatten mal die Idee, zum Frühjahrsbeginn eine Demonstration durchzuführen. Und zwar weltweit“, erklären sie in beeindruckender Naivität. “Wir sind keine Organisation, wir sind nicht durchstrukturiert“, beschreiben sie sich selbst. So wirkt auch die gesamte Vorbereitung.
Wenig Konkretes seitens der Veranstalter
Quelle: Screenshot Telegram
Neben ihrem Slogan “Wir werden alle da sein!“ und der Ankündigung “Es wird legendär!“ ist wenig Konkretes zu hören. Es gibt weder einen offiziell mitgeteilten Versammlungsort, es gibt keinen Ablaufplan der Kundgebung (es war wohl versehentlich einer kurzzeitig zu sehen, der aber wieder entfernt wurde), eine angebliche, Demonstrationsstrecke mit einem unsinnigen Startpunkt wurde auf Google-Maps skizziert - das war´s. Und auch die anderen angekündigten 99 weltweiten Versammlungen erinnern eher an Nenas “99 Luftballons“: Bunte Hülle und etwas heiße Luft dahinter.
Die vorgeblichen Anmelder
Quelle: Screenshot Facebook
Im aktuellen Teil des heute veröffentlichten Interviews erklären Jörg, Sunny und Ilhan, gegen das Versammlungsverbot juristisch vorgehen zu wollen. Eine Pressesprecherin des Kasseler Verwaltungsgerichts bestätigte gegenüber GDN auf Anfrage, dass ein Eilantrag gegen die Stadt Kassel eingegangen sei. Allerdings scheint es sich dabei um eine andere Veranstaltung zu handeln. Sie läuft unter dem Titel “Einhaltung der Grundrechte und Demokratie. Für Frieden, Freiheit und Solidarität.“ und soll mit 6000 Teilnehmern im Bereich Platz der Deutschen Einheit/Schwanenwiese stattfinden. Währenddessen wird auf dem Chat-Kanal “Großdemonstration“ noch immer verbreitet, die Kundgebung fände auf dem Königsplatz statt. Am Nachmittag teilte das Verwaltungsgericht in Kassel mit, dass nun auch ein Eilantrag gegen das Verbot der Veranstaltung “Freie Bürger Kassel - Grundrechte und Demokratie“ eingegangen sei. Diese Versammlung solle im Bereich der Karlsaue stattfinden und sei für 17.500 Teilnehmer angemeldet.
Polizeipräsenz Nähe Schwanenwiese (Archiv)
Quelle: heldmann.photography
Sollten die Verwaltungsgerichte letztlich die Verbotsverfügung der Stadt Kassel zurückweisen, wäre eine ähnliche Situation denkbar, wie es sie im Juli 2019 gegeben hat. Damals hat eine Neonazi-Partei eine Versammlung angemeldet, die von der Stadt ebenfalls ursprünglich verboten wurde. Nachdem das Verbot keinen juristischen Bestand hatte, wurde die Versammlung so beauflagt, dass sie in der Unterneustadt, also außerhalb der Innenstadt Kassels und in unmittelbarere Nähe der Schwanenwiese stattfand. Dieser Bereich lässt sich gut absichern, da die Fulda als natürlicher Rigel zwischen dort und der Innenstadt fließt. Anders als damals wird es in diesem Jahr keine große Gegenveranstaltung geben. Vielleicht ist es ohnehin klüger, der Versammlung der “Freien Bürger Kassel“ so wenig Aufmerksamkeit zu widmen wie möglich. Ein Kommentator der Süddeutschen Zeitung schreibt heute, in einem etwas anderen Kontext, aber gut übertragbar: “Die Selbstverwirklichung gelingt erst in der Aufmerksamkeit anderer. Das Buhlen um Beachtung verpufft, wenn niemand reagiert.“
2. Nachtrag vom 17.3.2021
Am Mittwochabend hat das Verwaltungsgericht Kassel mitgeteilt, es habe beiden Eilanträgen (siehe oben) stattgegeben. In der Pressemeldung heißt es u.a.: “Die Versammlungsverbote seien offensichtlich rechtswidrig. Die Stadt Kassel habe die verfassungsrechtlichen Vorgaben der Versammlungsfreiheit verkannt.“ Ein Versammlungsverbot mit einem erhöhten Infektionsrisiko, so wie durch die Stadt geschehen, zu begründen, sei nur in Extremfällen zulässig. “Eine solche sei nicht anzunehmen. Derzeit bestehe keine akute Gefahr für eine Überforderung des Gesundheitssystems.“
Das Gericht verweist auf “mildere Maßnahmen als ein Verbot“, wie Auflagen zum Masken tragen, Abstandsgebote, Verringerung von Teilnehmerzahlen und Ortsverlagerungen. Weiter heißt es in der Pressemeldung: “Die Stadt lege nicht konkret dar, weshalb gerade vorliegend ein qualifizierter Bezug zur sog. Querdenker-Szene bestehe. Das gelte auch für die Angaben der Stadt zu etwaigen Auflagenverstößen in der Vergangenheit.“
Das Gericht hat sich auch mit den angekündigten Gegenveranstaltungen befasst. Dazu heißt es: “Das Versammlungsverbot sei auch nicht dadurch zu rechtfertigen, dass Gegendemonstrationen angemeldet worden seien. Dass die Stadt unter Hinzuziehung externer Polizeikräfte, Trennung von Versammlung, Gegendemonstration und möglichen anderen Kundgebungen, Verlegung des Versammlungsortes, nicht in der Lage wäre, die Sicherheit der Versammlung zu gewährleisten, habe die Stadt nicht konkret dargelegt.“ Gegen diese Entscheidungen ist Beschwerde beim VGH möglich. Es liegt nun bei der Stadt Kassel, entweder den weiteren Rechtsweg zu beschreiten oder die Versammlungen mit Auflagen zuzulassen.
Nachtrag vom 18.3.2021
Nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Kassel, die für Samstag beantragten Versammlungen auf der Schwanenwiese und “in der Karlsaue“ zuzulassen, haben die Anmelder der letzteren, die “Freien Bürger Kassel“, am späten Mittwochabend erstmals offiziell den von ihnen geplanten Versammlungsort bekanntgegeben. Auf ihrem Telegram-Kanal schreiben sie: “Das Verwaltungsgericht in Kassel hat heute Recht gesprochen Wir sehen uns alle am 20.03.2021 in Kassel auf der Karlswiese im Staatspark Karlsaue“ (Interpunktion wie im Original).
Die Karlswiese in der Karlsaue
Quelle: heldmann.photography
Der Barockpark Karlsaue gehört wie z.B. auch der Bergpark Wilhelmshöhe dem Land Hessen und wird von der “Museumslandschaft Hessen-Kassel (MHK)“ betreut und verwaltet. Bisher wurden auf den Geländen der MHK Veranstaltungen nur in sehr eingeschränkten Maßen zugelassen. Auf der Karlswiese fanden etwa bei trockenem Wetter im Sommer “Klassik Open-Air-Konzerte“ statt. Auch zu den documenta-Ausstellungen wird das Gelände regelmäßig genutzt. Dass die MHK jedoch eine politische Versammlung mit angekündigten 17.500 Teilnehmern dort duldet, erscheint nicht vorstellbar. GDN hat daher nachgefragt. Die Pressesprecherin der MHK erklärte dazu: “Die MHK gestattet grundsätzlich keine Veranstaltungen mit politischem Hintergrund in ihren Einrichtungen und Parks.“ Weiter teilt sie mit, die MHK habe “den Freien Bürgern Kassel mehrfach abgesagt“, zuletzt mit einem Schreiben von Mittwoch.
Prof. Dr. Martin Eberle, MHK
Quelle: heldmann.photography
mehrfach abgesagt“, zuletzt mit einem Schreiben von Mittwoch. Inzwischen hat sich auch der Direktor der MHK, Herr Prof. Dr. Eberle dazu geäußert: »Wir gestatten prinzipiell keine politischen Veranstaltungen in unseren Einrichtungen. Im Fall dieser speziellen Versammlung kommt noch hinzu, dass wir sie aus gartendenkmalpflegerischen Gründen nicht genehmigen können. Die von den Veranstaltern angemeldeten Vorhaben für die Karlsaue sind laut unseren Vorgaben für Veranstaltungen in MHK-Parks nicht zulässig. Zudem gestatten wir keine externen Veranstaltungen, deren Hygienekonzepte von den zuständigen Ordnungsbehörden nicht genehmigt wurden.« Daher habe man die in der Karlsaue geplante Versammlung der “Freien Bürger Kassel“ untersagt. Am Samstag werde Aufsichtspersonal ganztägig vor Ort sein.
Derweil hat die Stadt Kassel mitgeteilt, Rechtsmittel gegen die gestrige Entscheidung des Verwaltungsgerichts Kassel einzulegen. In der Pressemitteilung von heute Mittag heißt es u.a.: “Dagegen (die Verbotsverfügung der Stadt) haben zwei Anmelder Widerspruch eingelegt und um Eilrechtsschutz beim Verwaltungsgericht Kassel ersucht. Das Verwaltungsgericht Kassel hat nun die aufschiebende Wirkung der jeweiligen Widersprüche der Antragsteller gegen die Verbotsverfügungen der Stadt Kassel wiederhergestellt. Die Stadt Kassel wird gegen diese Beschlüsse Beschwerde beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof (VGH) einlegen.
Wasserwerfer der hessischen Polizei (Archivbild)
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Auch die Polizei bereitet sich auf die Versammlungen am Samstag vor. Sie verweist auf mehrere angemeldete Versammlungen für diesen Tag. “Die Anmelder erwarten teilweise Teilnehmerzahlen im fünfstelligen Bereich. Das Polizeipräsidium Nordhessen bereitet sich daher auf einen größeren Polizeieinsatz vor. Aufgabe der Polizei ist es am Samstag, aufgrund der an diesem Tag bestehenden, gültigen Rechtsprechung allen Menschen die Teilnahme an nicht verbotenen Versammlungen zu ermöglichen sowie gerichtlich bestehende Versammlungsverbote durchzusetzen.“ Das Polizeipräsidium rechnet für diesen Tag “mit Verkehrsbeeinträchtigungen, auch im ÖPNV“. Wie diese aussehen werden, könne man heute noch nicht sagen. Bei der Großdemonstration im Juli 2019 war nahezu der komplette ÖPNV in Kassel über fast den gesamten Tag zum Erliegen gekommen.
Digitale Pressekonferenz des DGB Nordhessen
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Am Donnerstag haben Vertreterinnen und Vertreter mehrerer Organisationen im Rahmen einer digitalen Pressekonferenz des DGB Nordhessen ihre Bedenken gegen die Kundgebung und Demonstration gegen die Coronamaßnahmen bekundet. “Wer gegen Masken und andere Schutzmaßnahmen demonstriert und erkennbar die Nichteinhaltung geltender Regeln praktiziert oder gutheißt, handelt im Kampf um ausschließlich eigene Freiheiten letztlich egoistisch und unsolidarisch; er gefährdet bewusst andere.“, erklärte die DGB-Vorsitzende für Nordhessen, Jenny Huschke. Ähnlich äußerten sich Vertreterinnen und Vertreter der beiden großen Kirchen und der Arbeiterwohlfahrt.
Offen für Vielfalt - geschlossen gegen Ausgernzung
Quelle: heldmann.photography
Michael Sasse von der Initiative “Offen für Vielfalt“ ergänzte: “Wer aber bundesweit zu einer Groß-Demonstrationen aufruft und dies als Veranstalter mit Bildern einer dicht gedrängten Menschenmenge ohne Mundschutz tut, zeigt die Botschaft: Ich will mich nicht an Regeln halten. “¦ Sie werden so zur Anlaufstelle für organisierte und gewaltbereite Antidemokraten und Rechtsextreme und tragen zur Spaltung unserer Gesellschaft bei.“ Nach Beobachtungen des MBT Hessen sind die “Freien Bürger Kassel“ bemüht, sich von extremistischen Tendenzen abzugrenzen. Es gelinge ihnen aber nicht immer. So habe man sich nie von dem Sophie Scholl-Vergleich von “Jana aus Kassel“ in Hannover distanziert. Stattdessen sei Jana M. eine der Mitorganisatorinnen der Kasseler Veranstaltungen. Inwieweit es am Samstag eigene Veranstaltungen gebe, ließ Holger Kindler vom DGB offen. Bisher seien von der Stadt alle Versammlungen für diesen Tag untersagt worden, auch die angemeldeten Gegenveranstaltungen zur Großdemonstration.
Nachtrag vom 19.3.2021
Inzwischen hat das Verwaltungsgericht Kassel zwei weiteren Eilanträgen von Antragstellern gegen Versammlungsverbote der Stadt Kassel für Samstag, den 20. März 2021, stattgegeben, wie die Pressestelle des Gerichts heute mitgeteilt hat.
Die Antragsteller meldeten bei der Stadt Kassel Versammlungen zum Thema “Ausge-schwurbelt“ sowie “Haltung zeigen für unsere Demokratie“ für den Bereich Opernplatz bzw. Frankfurter Straße/Höhe Amtsgericht an. Diese wurden, wie auch alle andereb Versammlungen für den 20.3.2021, untersagt. Hiergegen erhoben die Antragsteller jeweils Widerspruch bei der Stadt Kassel und stellten zugleich beim Verwaltungsgericht Kassel Eilanträge.
Verwaltungsgericht und Verwaltungsgerichtshof
Quelle: heldmann.photography
“Die Kammer gab den Eilanträgen statt. Die Versammlungsverbote seien offensichtlich rechtswidrig. Die Stadt Kassel habe die verfassungsrechtlichen Vorgaben der Versammlungsfreiheit verkannt.“, heißt es in der Pressemitteilung. Offenbar störte sich das Gericht auch daran, dass die Stadt Kassel nicht berücksichtigt hat, dass diese Antragsteller eine grundsätzlich andere Einstellung zu den Coronamaßnahmen als z.B. die “Freien Bürger Kassel“ haben. “Es sei gerade im Falle der Gegendemonstranten zu den eigentlichen Coronaversammlungen nicht im Ansatz dargetan, dass auch nur der Verdacht dafür bestünde, die Teilnehmer würden sich an entsprechende Auflagen nicht halten.“ Gegen diese Eilentscheidungen scheint die Stadt Kassel kein Rechtsmittel eingelegt zu haben; jedenfalls gibt es weder von ihr noch dem Verwaltungsgerichtshof Kassel eine entsprechende Information.
Auch die Anmelder der Versammlung, die “Freien Bürger Kassel“, haben heute eine Pressemeldung veröffentlicht, in der sie weiterhin das entsprechende Verbot der MHK ignorieren und zu einer Versammlung auf der Karlswiese aufrufen. Sie erklären dort ihre Ablehnung von Gewalt: “Von uns geht keine Gewalt aus und wir distanzieren uns von jeglicher Handlung, die mit der freiheitlichdemokratischen Grundordnung nicht vereinbar ist.
Wir fordern die Stadt Kassel ausdrücklich dazu auf, sich an die Gebote der Rechtsstaatlichkeit zu halten. Wir vertrauen auf die bisher vorbildliche Zusammenarbeit mit der Kasseler Polizei.“
Hildmanns Aufruf
Quelle: Screenshot Telegram
Inzwischen ist auch der Republikflüchtling, Antisemit und frühere Vegankoch Klaus Peter Attila Hildmann auf die Kasseler Demonstration aufmerksam geworden und ruft zur Teilnahme auf (siehe Screenshot). Wer solche Verbündete hat, braucht keine Feinde mehr. Allerdings empfiehlt er, nicht auf die - ohnehin nict verfügbare - Karlswiese zu gehen, sondern in die Innenstadt. Diesen Plan haben auch bereits eine Reihe andere auf dem Demo-Chat angekündigt.
Der VGH gibt der Beschwerde der Stadt weitgehend recht
Zitate aus der Pressemeldung des Verwaltungsgerichtshofs Hessen:
“Soeben hat der 2. Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs entschieden, dass die von der Stadt Kassel ausgesprochenen Versammlungsverbote überwiegend Bestand haben. Danach darf am morgigen Samstag, dem 20. März 2021, lediglich in den Bereichen der Schwanenwiese und des Platzes der Deutschen Einheit eine stationäre Kundgebung unter Auflagen durchgeführt werden.
Hier ist die Versammlung erlaubt
Quelle: heldmann.photography
Der Beschwerde der Stadt Kassel gegen die vom Verwaltungsgericht Kassel vorgenommene Suspendierung des Verbots der Versammlung “Freie Bürger Kassel - Grundrechte und Demokratie“ im Bereich des Staatsparks Karlsaue (Orangerie) hat der Senat vollumfänglich stattgegeben und den Antrag des Anmelders dieser Versammlung auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt. Damit bleiben sowohl die für den Vormittag auf der Karlswiese geplante stationäre Kundgebung als auch der für den Nachmittag geplante Aufzug durch die Innenstadt verboten. “¦ Dagegen wurde die Beschwerde der Stadt Kassel zurückgewiesen, soweit sie sich gegen die vom Verwaltungsgericht Kassel ermöglichte Durchführung einer stationären Kundgebung in den Bereichen der Schwanenwiese und des Platzes der Deutschen Einheit richtete. Hierfür sprach der Senat allerdings eine Begrenzung der Teilnehmerzahl auf 5.000 (Messegelände Schwanenwiese) und 1.000 (Platz der Deutschen Einheit) aus und gab den Teilnehmern der Versammlung sowohl das Tragen eines medizinischen Mund-Nasen-Schutzes als auch das Einhalten eines Mindestabstands von 1,50 m zueinander auf. Für die Einhaltung dieser Vorgaben habe der Veranstalter unter anderem durch den Einsatz von Ordnern und Hinweise in den sozialen Netzwerken Sorge zu tragen.“ Gegen diese Entscheidung ist nur noch eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht möglich. Ob die Anmelder diesen Weg gehen würden, haben sie bisher noch nicht erklärt.
Sunny, Jan und Ilhan - Demoveranstalter
Quelle: heldmann.photography
Vor dem am Freitagabend stattgefundenen Autocorso mit rund 110 Fahrzeugen von Kritikern der Coronamaßnahmen aus ganz Deutschland haben die Anmelder der Demonstration am Samstag angedeutet, dass sie mit der VGH-Entscheidung zufrieden sind. “Sunny“, die Versammlungsleiterin, freute sich, “unsere Kundgebung findet statt“. Zum Ort, der Teilnehmerbegrenzung und den Auflagen des Gerichts sagte sie nichts. Im Chatkanal zur “Großdemonstration“ herrscht jedenfalls ziemliche Verunsicherung, nachdem die Gerichtsentscheidung dort bekannt wurde. “Sunny“ kündigte noch für den Abend eine Information an, die aber bisher nicht erfolgt ist. Die Nachricht auf dem Infokanal ist die oben erwähnte “Presseinformation“ von 14.13 Uhr.
OB Geselle im Kasseler Impfzentrum
Quelle: heldmann.photography
Geäußert hat sich aber Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle. Er bedauert auf der Homepage der Stadt, dass “das Gericht unserer Rechtsauffassung nicht folgen konnte.“ Im Weiteren stellte Geselle einen, nicht näher ausgeführten, Zusammenhang zwischen der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke und der Kundgebung gegen die Corona-Maßnahmen her. Es sei auch das Vermächtnis von Regierungspräsident Dr. Lübcke, dass man gegen Aufmärsche rechtsextremer Gruppen klare Kante zeigen müsse, so Geselle. Rund 10.000 Menschen hätten “angesichts der Ermordung von Regierungspräsident Dr. Walter Lübcke durch einen mutmaßlich rechtsextremistischen Täter ein deutliches Zeichen gesetzt.“ Weiter heißt es auf der Homepage: “Allen Bürgerinnen und Bürgern, Gruppen und Initiativen, die am morgigen Samstag durch friedliche Aktionen und Proteste an unterschiedlichen Orten und Plätzen im Stadtgebiet zeigen wollen, dass Kassel eine bunte, demokratische und weltoffene Stadt ist, dankte der Oberbürgermeister ausdrücklich.“
Wasserwerfer auf der BAB
Quelle: Screenshot Telegram
In einer weiteren Pressemeldung kündigte die Stadt Kassel wegen der Kundgebung auf der Schwanenwiese und dem Platz der Deutschen Einheit für Samstag Verkehrsbehinderungen und auch Einschränkungen im ÖPNV an. Aufgrund der “kurzfristig ergangenen Gerichtsentscheidungen“ sei eine frühere und konkretere Information über Sperrungen nicht möglich gewesen. Es ist jedenfalls mit größeren Polizeieinsätzen zu rechnen. Am Freitagabend waren zahlreiche Mannschaftswagen der Bundespolizei in der Stadt unterwegs. Auf Telegram vermeldete ein User, zwei Wasserwerfer der Hessischen Polizei auf der A 7 in Richtung Kassel gesehen zu haben.
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